Regeln

nochmal eine komplett zinkfreie Geschichte, entstanden im Februar 2018:

Mit unseren Kindern haben wir früher viel gespielt. Auch heute noch verbringen wir gerne Zeit bei langen und lustigen Doppelkopfrunden oder siedeln mit Begeisterung in Catan und bauen dort Städte und Ritter. Spielregeln zu beachten gehört natürlich dazu, sonst funktionieren Gesellschaftsspiele nicht. Ich konnte schon immer gut auch komplizierte Spielregeln erklären. Da ich außerdem aus Prinzip nicht mogele muss ich dann auch meistens die Bank machen. Vielleicht ist es allerdings auch eher so, dass ich gar nicht in der Lage bin, richtig zu mogeln. Es mag jedenfalls keiner mit mir pokern, weil ich einfach nicht bluffen kann und das mit mir dann wohl den anderen keinen Spaß macht. Mir mit den anderen aber auch nicht weil ich immer verliere und irgendwie den Sinn vom Pokern nicht begreifen kann.

Auch sonst halte ich mich an Regeln. Das gibt Sicherheit, engt aber natürlich auch manchmal ein. Wir haben vor einigen Jahren in unserer Kleinstadt eine videogesteuerte Verkehrsampel an unserer verkehrsreichsten Kreuzung bekommen. Zunächst habe ich mich gefreut, weil ich derartige verkehrsgerechte Ampelschaltungen schon in manchen größeren Städten positiv wahrgenommen hatte. Die Programmierung unserer Ampel mutet aber eher provinziell an. Es kommt vor, dass in einer Richtung eine Schlange von Autos wartet, die Ampel aber seelenruhig erst einmal alle anderen drei Fahrtrichtungen nacheinander auf grün schaltete, selbst wenn da überhaupt kein Auto steht oder in Sicht ist. Gerade morgens bei der eng getakteten Fahrt zum Bahnhof verliere ich dadurch manchmal bis zu zwei Minuten, in denen weder von rechts, noch von links oder von vorne ein Auto fährt, ich aber vor einer roten Ampel stehe. Im Auto halte ich mich (noch) an Regeln aber als Fahrradfahrer beachte ich zumindest nachts diese Ampel mittlerweile nicht mehr. Nachdem ich mehrmals spät abends im strömenden Regen mit dem Fahrrad an der roten Apel stand und weit und breit kein Auto in Sicht war, habe ich mich bewusst entschieden in Widerstand zu gehen gegen die völlig sinnfreien Regelungen dieser Ampel. Tatsächlich bin ich abends und nachts schon mehrfach bei Rot über die Ampel gefahren.

Auch andere Menschen, denen man das auf den ersten Blick gar nicht ansieht, rebellieren manchmal still und heimlich gegen nicht nachzuvollziehende und einschränkende Regeln. Der Bahnsteig des Bahnhofes, an dem ich morgens in meinen Pendlerzug steige, ist erhöht worden. Diese Baumaßnahme war sinnvoll, hat sich aber über eine längere Zeit hingezogen. Die Zugänge vom Parkplatz und von den Fahrradabstellplätzen zum Bahnsteig waren in dieser Zeit mit rot-weißen Absperrbaken zugestellt, so dass man einen Umweg die dunkle Straße entlang und durch das Bahnhofsgebäude nehmen musste. Man konnte die Baken allerdings anfangs relativ einfach bewegen und einen Spalt bilden, durch den man dann den direkten Zugang zum Parkplatz nehmen konnte. Später waren die einzelnen Baken-Elemente durch Draht miteinander verbunden und daher nicht mehr so einfach zu bewegen. Zeitgleich mit mir ist häufig ein netter älterer Herr unterwegs. Wir grüßen uns für gewöhnlich und halten Small Talk. Letzte Woche bin ich mit ihm zusammen aus dem Zug gestiegen und wollte, weil ich gesehen hatte, dass die Baken alle wieder fest miteinander  verdrahtet waren, den Umweg durch den Bahnhof nehmen. Da hält mich der ältere Herr verschmitzt lächelnd zurück und zückt aus seiner Jackentasche eine kleine Kombizange. Damit kneift er den Draht durch und öffnet den Spalt zum Parkplatz. Er erklärt mir, er habe in letzter Zeit immer eine Zange dabei. Die Baken seien mittlerweile schon mit doppelten Drähten verbunden, dadurch lasse er sich aber nicht abschrecken. Es sei ja nun wirklich nicht einzusehen, warum man den direkten Weg nicht benutzen dürfe und er lasse sich von der Deutschen Bahn sowieso schon mal gar nicht schikanieren.

Dies sind kleine Beispiele für Widerstand gegen unsinnige Regeln. Vielleicht lässt sich aber das Prinzip auf unser Gemeinwesen übertragen und sinnvoll  nutzen. Wir beklagen ja häufig, dass unsere jungen Menschen eher unpolitisch und nur am eigenen Wohl orientiert seien. Der Lauf der Welt sollte doch eigentlich so sein, dass junge Menschen rebellieren, neue Ideen und Perspektiven entwickeln und kreative Lebensformen ausprobieren, bis sie irgendwann älter werden und den Fokus eher darauf legen, das zu bewahren, was sie erreicht haben. Dann sollte die nächste Generation soweit sein, dass sie rebelliert. Dieses Prinzip funktioniert aber nicht mehr richtig, vielleicht liegt das daran, dass es nichts gibt, gegen das es sich lohnt in Widerstand zu gehen.

Auch unsere Jungs waren in ihrer Jugend eher unpolitisch und bilden erst jetzt als junge Erwachsene ein wachsendes Politikinteresse aus. Ich denke als Eltern haben wir es vielleicht versäumt, den Widerstandsgeist unserer Jungs frühzeitig anzustacheln und zu viel Wert gelegt auf häuslichen Frieden, Harmonie und gewaltfreie Konfliktlösungen. Wenn ich jetzt noch einmal Kinder zu erziehen hätte würde ich also:

  1. willkürlich eine Menge von einschränkenden Regeln setzen und
  2. nicht versuchen, den Sinn von Regeln zu vermitteln sondern diese autoritär durchsetzen

Im Sinne einer gelingenden nachhaltigen Demokratisierung unserer jungen Menschen erscheint mir ein derartiges Umdenken im Erziehungsstil am zielführendsten und erfolgversprechendsten. Auch die Erzieher in Kitas und Lehrer an den Schulen müssten da natürlich entsprechend fortgebildet werden und mitziehen.

Da wir unsere Jungs ja sozusagen herkömmlich erzogen haben, müssen wir die langen, lustigen und harmonischen Familienabende dann eben so gut es geht aushalten. Vielleicht kann ich den neuen Erziehungsstil ja irgendwann mal bei eventuellen Enkelkindern anwenden.

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