Es gibt Dinge, die sind und bleiben falsch, egal wie man sie dreht und wendet. Das ist zum Beispiel in der Mathematik so. 2 + 2 = 4. Das ist unumstößlich richtig und das kann man auch beweisen. 2 + 2 = 5 ist dagegen eindeutig eine falsche mathematische Aussage. Leider ist es aber abseits der Mathematik nicht immer ganz einfach festzustellen, was falsch und was richtig ist.
Richtig war in den Augen vieler Menschen über lange Zeiträume hinweg die Annahme, dass die Erde eine flache Scheibe ist und die Sonne um sie kreist. In der Medizin war die Vier-Säfte-Lehre von der Antike bis ins 19. Jahrhundert hinein weit verbreitet. Das Ziel aller ärztlichen Bemühungen war es, die vier Körpersäfte schwarze Galle (melancolia), Schleim (phlegma), gelbe Galle (colera) und Blut (sanguis) in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu bringen als Voraussetzung für Gesundheit. Mittlerweile ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand weiter und medizinische Behandlungen bestehen aus mehr als Aderlass oder anderen Methoden, um die Säfte ins Gleichgewicht zu bringen. Aber wer weiß schon wirklich, was „die“ richtige Behandlung ist. Möglicherweise schütteln Menschen in ein oder zwei Jahrhunderten irritiert oder belustigt die Köpfe, wenn sie von den „abenteuerlichen“ Vorstellungen und Behandlungsmethoden des 21. Jahrhunderts lesen oder hören.
Es gibt also Dinge, die sind nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft richtig und allgemein akzeptiert. Sie sind dann aber irgendwann überholt und falsch, wenn die Wissenschaft sich weiterentwickelt hat und neue Erkenntnisse gewonnen wurden.
Auch andere „Wahrheiten“ sind veränderlich und in stetem Fluss. Bei der Rechtschreibung z.B. hat es über Jahrhunderte hinweg immer wieder Veränderungen gegeben und wir schreiben längst nicht mehr so wie Martin Luther oder Goethe. Seit der letzten Rechtschreibreform bin ich immer wieder am Überlegen, ob man richtigerweise „Stengel“ oder „Stängel“ schreibt. Die erste Variante habe ich in der Schule gelernt, das Wort sieht für mich mit „e“ geschrieben auch richtig aus. Tatsächlich schreibt man es heute mit „ä“. Das ist zwar orthographisch richtig, sieht für mich aber falsch aus.
Es ist richtig, auf seine Sprache und Wortwahl zu achten und immer wieder zu hinterfragen, was bestimmte Wörter oder Redewendungen beim Gegenüber möglicherweise anrichten oder auslösen können. Es gibt gewaltfreie Sprache, leichte Sprache und auch eine gendersensible Sprache. Auch in diesem Bereich ist vieles in Bewegung. Während man früher z.B. nur von „Lesern“ sprach oder schrieb, wechselte das irgendwann zu „Leser und Leserinnen“. In der Schriftsprache entwickelte sich das weiter zu „Leser/innen“ oder „Leser*innen“. Auch diese Schreibweisen sind heutzutage überholt. Der Genderdoppelpunkt ersetzt nun das Gendersternchen und man schreibt richtig: „Leser:innen“ wenn man nicht von „Lesenden“ oder „lesenden Menschen“ spricht und schreibt.
Das Schönheitsideal, also die Vorstellung vieler Menschen in einem gemeinsamen Kulturkreis darüber, was als schön gilt, ist ebenfalls nicht für die Ewigkeit festgeschrieben: früher galten dicke Rubensfiguren als schön, heute dünne Magermodelle, früher war eine helle Haut erstrebenswert, heute ein zarter Braunton. Und Modetrends ändern sich jährlich.
Es gibt also Dinge, die sind nach den jeweiligen Anschauungen des Kulturkreises richtig und allgemein akzeptiert, erweisen sich dann aber irgendwann als falsch oder überholt, wenn die Gesellschaft sich weiterentwickelt hat.
Manchmal schätzen wir auch unseren Körper falsch ein. Aufgefallen ist mir das häufig bei unseren Jungs, wenn sie nach einem Wachstumsschub beim Fußball zunächst den Ball nicht getroffen haben, weil die eingeübten Bewegungsabläufe erst noch auf die veränderten Körperproportionen angepasst werden mussten.
Toiletten haben in der Regel eine bestimmte Höhe. Wenn man sich hinsetzt und die Toilette ist niedriger als erwartet, hat man ganz kurz das Gefühl man fällt um, bis man dann doch sicher mit dem Gesäß auf der Klobrille landet.
Als Dank für mein Turmzinken habe ich einen riesigen Schokoweihnachtsmann geschenkt bekommen. Beim Hineinbeißen in die Spitze hatte ich in Erwartung zersplitternder dünner Schokolade automatisch die Kraft meiner Kiefermuskulatur entsprechend bemessen. Der Weihnachtsmann bestand allerdings unerwartet von der Spitze bis zur Brust vollständig aus Schokolade und ich hing mit schmerzenden Kiefergelenken in einem massiven Schokoladenblock fest.
Beim Zinken habe ich mittlerweile eine Stufe erreicht, dass sich, wenn ich konzentriert bin und eine Vorstellung vom nächsten zu spielenden Ton habe, mein Körper, Mundraum, Lippenspannung und Luftführung automatisiert auf diesen Ton einstellen. Wenn meine Finger dann aber aus Versehen einen ganz anderen Ton greifen, passt das alles nicht zusammen und der Zink gibt empört ein verschrecktes Quieken von sich.
Beim Zinken gibt es Dinge, die erscheinen mir zunächst falsch, sind aber doch irgendwie richtig und führen zu einem guten Ergebnis. Da ist einmal die Geschichte mit der Luftführung. Bisher war meine Vorstellung vom Musizieren auf einem Blasinstrument so, dass man mit dem Ausatem einen Klang erzeugt bis die Luft alle ist, dann atmet man bei nächster Gelegenheit ein und spielt dann mit dem nächsten Ausatem weiter. Das funktioniert beim Zinken allerdings nicht so einfach. Da hat man ja das Problem, dass man permanent zu viel Luft hat, weil durch das winzig kleine Löchlein im Mundstück nur extrem wenig Luft hindurchgehaucht werden kann. Man muss also erst alte, verbrauchte Luft loswerden, bevor man neue, frische einatmen kann. Die angepasste Luftführung beschäftigt mich schon länger und erste Erfahrungen damit habe ich in meiner Geschichte „genug“ verarbeitet. Seit neuestem beschäftige ich mich nun mit einer Technik, bei der ich ständig durch ein kleines Loch zwischen den Lippen neben der Ansatzstelle Luft ablassen soll. Bis ich das sicher beherrsche (das wird wohl noch eine Weile dauern) behelfe ich mir mit einer Zwischenlösung, bei der ich meine Noten durcharbeite und an den passenden Stellen Zeichen für Einatmung und Ausatmung setze. In der Praxis funktioniert das dann so, dass ich einatme und losspiele, nach ein paar Tönen an der markierten Stelle einen Teil der Luft ausatme und mit der restlichen Luft weiterspiele bis ich zum nächsten Zeichen komme, wo ich dann einatme und mit frischer Luft weiterzinke. Noch fühlt es sich falsch an, nach dem Ausatmen weiterzuspielen, aber im Ergebnis komme ich natürlich mit dieser Technik deutlich entspannter durch die Stücke. Das ist also schon alles richtig so.
Letzte Woche hat mein Lehrer mir neue Noten zugeschickt, meine Einzelstimme in B-Dur und die Partitur in D-Dur. Ich war natürlich verwirrt und wusste nicht, ob ich das jetzt in B oder D-Dur üben soll und dachte, irgendwas sei falsch. Es ist aber alles richtig. Ich soll das Stück in C-Dur oder B-Dur spielen aber nicht in D-Dur. Wenn ich in C-Dur mit einem Instrument in 466 Hz zinke, spielt das Orchester in D-Dur bei 415 Hz. C-Dur ist auch möglich, wenn Zink und Orchester beide in 440 Hz spielen. Ich kann auch B-Dur spielen in 466 Hz und das Orchester dann C-Dur in 415 Hz oder wir spielen alle in B-Dur in 440 Hz. Ganz einfach!
Auch wenn etwas auf den ersten Blick falsch aussieht oder sich erstmal falsch anfühlt, kann es dennoch genau richtig sein. Schade ist eben nur, dass man nicht immer vorher schon weiß, was richtig oder falsch ist und man das nur in den seltensten Fällen schnell und unkompliziert durch eine einfache Nachfrage beim Zinklehrer ermitteln kann.