Beruflich habe ich im Rahmen des Sozialrechtes immer wieder mit Menschen zu tun, die von ihren Ängsten beherrscht werden. In Erinnerung geblieben ist mir z.B. eine Frau, die aus Angst vor Keimen und Bakterien nicht in der Lage war, Türklinken anzufassen oder sich auf Besucherstühle zu setzen. Ein Mann konnte es nur schwer in meinem Büro aushalten, weil die Strahlung des Computers, die Lichtwellen der Neonröhren und die Ausdünstungen des Teppichbodens ein gefährliches und ihn extrem belastendes Raumklima erzeugt haben. Sozialberatung war in diesen und anderen vergleichbaren Fällen nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Ein Fall beschäftigt mich gerade, in dem der Betroffene seit Jahren vor lauter Angst die eigene Wohnung nicht verlassen kann. Sogar der Zahnarzt besucht und behandelt ihn zu hause. Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, wie sehr alle diese Menschen in ihrer jeweiligen Realität leiden.
Mit einigen Ängsten habe ich natürlich selber auch zu kämpfen, aber verglichen mit anderen Schicksalen muten diese doch eher niedlich an. Vor Mäusen, Ratten und Schlangen habe ich keine Angst und kann mir durchaus vorstellen, zahme Exemplare auch zu streicheln. Anders sieht es da allerdings aus mit Spinnen. Kleine Exemplare stören mich nicht weiter, aber diese riesigen, fiesen Rennspinnen mit dem großen Körper und den dicken Beinen mit denen sie in einem wahnsinnigen Tempo über das Parkett huschen, würde ich nie im Leben anfassen oder mich ihnen auch nur nähern.
Ich glaube, dass fast jeder Mensch vor irgendetwas Angst hat. Einige Ängste werden natürlich von den Medien forciert. Dazu zähle ich z.B. die Angst vor einem ungeregelten Brexit, BSE, Google-Street-View oder seit neuestem ganz aktuell vor Rentnern auf E-Bikes. Vor Wölfen haben die meisten Menschen Angst, vor Bären aber interessanterweise nicht, obwohl diese viel gefährlicher sein sollen. Das liegt vielleicht daran, dass viele Menschen in ihrer Kindheit einen Schmuseteddy hatten. Was wir als Kind zum Kuscheln in unserem Bett hatten, scheinen wir als Erwachsenen nicht mehr zu fürchten. Einer meiner Söhne hatte das im Alter von fünf Jahren schon klar erkannt und hat versucht, mich von meiner Spinnenangst zu kurieren, indem er mir eine handtellergroße, dicke, fette, schwarze Gummispinne unter meine Bettdecke geschmuggelt hat. Der Versuch, mir auf diese Weise meine Angst zu nehmen, ist allerdings gründlich misslungen.
Die Wölfe nähern sich ja nun tatsächlich unaufhaltsam. Da ich gerne im Wald spazieren gehe, habe ich mich vorsorglich damit beschäftigt, wie man sich verhalten soll, wenn man plötzlich einem Wolf gegenübersteht. Bei meinen Recherchen bin ich auf einen informativen Flyer des IFAW (International Fund for Animal Welfare) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz gestoßen. Wenn man sich in der Situation mit dem Wolf unwohl fühlt (das steht da wirklich!), soll man sich bemerkbar machen, langsam zurückgehen und dabei reden oder in die Hände klatschen. Man soll nicht rennen und wenn einem der Wolf beim Sich-Zurückziehen wider Erwarten folgt, soll man ihn anschreien und einschüchtern indem man sich groß macht und eventuell etwas nach ihm wirft. Begegnungen mit dem Wolf soll man auf jeden Fall an die im Flyer genannte zuständige Stelle melden.
Nicht nur im Wald kann der gefährliche Wolf lauern sondern auch in der Musik. Damit meine ich jetzt nicht die musikalische Bearbeitung des Themas bei „Peter und der Wolf“ von Sergej Prokofiev. Es geht mir vielmehr um den Wolf bei Musikinstrumenten. Erstmals habe ich davon gehört, als der Cello Lehrer meiner Schwester seinerzeit feststellte, dass ihr damaliges Instrument einen Wolf hatte. Man bezeichnet damit einen Ton, der sich auf einem Streichinstrument einfach nicht vernünftig zum Klingen bringen lässt. Beim Cello lauert der Wolf wohl meist auf dem F oder Fis. Der Ton lässt sich nicht leise spielen. Man wischt dabei dann den Bogen tonlos über die Saite oder bringt nur die Obertöne zum Erklingen. Wenn man versucht, den Ton laut zu spielen indem man den Bogen beherzter einsetzt, bollert der Ton. Die physikalische Erklärung des Wolf-Tones ist recht kompliziert, man kann sie aber z.B. bei Wikipedia ganz gut nachlesen.
Da ich hautsächlich Blasinstrumente spiele, war ich bisher davon ausgegangen, dass ich vor dem musikalischen Wolf nichts zu befürchten habe. Ich habe mich aber wohl in falscher Sicherheit gewiegt. Seit einer Woche besitze ich einen eigenen Zink und um diesen muss ich mich ja nun doch generell sehr viel mehr sorgen, als um das alte, abgespielte Leihinstrument, das mein Lehrer jetzt nach der Rückgabe für Experimente im Unterricht und z.B. das Üben von Manipulationen am Klangkörper nutzen will. Wir haben uns in der letzten Unterrichtsstunde mein neues Instrument genau angesehen und mit einem Zink meines Lehrers verglichen. Dabei fiel mir auf, dass sein Zink unten total abgeschabt ist. Er eröffnete mir zu meinem großen Schrecken, dass der Wolf auch bei den Zinken lauert. Beim C kann es zu Verwirbelungen des Luftstromes unten am Instrument kommen, wenn es minimal zu lang geraten ist. Diese Verwirbelungen haben zur Folge, dass der Ton nicht rein und klar gespielt werden kann. Um den Wolf zu töten, muss man die Länge des Instrumentes vorsichtig durch Abschleifen an der richtigen Stelle kürzen.
Meinen schönen neuen Zink will ich nun nicht gleich kaputtschleifen, deshalb werde ich zunächst präventiv versuchen, den Wolf zu vertreiben. Noch bevor ich mich in der Situation unwohl fühle laufe ich daher nun beim Zinken im Raum herum. Das soll ich sowieso beim Üben schon seit einiger Zeit immer mal machen um insgesamt locker zu bleiben. In die Hände klatschen während des Zinkens ist schwierig. Das habe ich ausprobiert und feststellen müssen, dass man doch beide Hände am Instrument lassen sollte, sonst fällt es runter. Daher klatsche ich jetzt vor dem Üben immer ein paarmal in die Hände und hoffe, den Wolf dadurch schon gleich zu verschrecken. Laut bin ich mit dem Zink ja nun sowieso, brauche also nicht zusätzlich auch noch herumzuschreien. Mit meinem neuen Instrument möchte ich nicht nach dem Wolf werfen. Aus dem Notenblatt von dem Stück, das ich seit einem halben Jahr übe und einfach nicht hinbekomme, habe ich einen schönen Papierflieger mit einer scharfen Spitze gefaltet. Der liegt nun auf dem Notenständer bereit und wenn der Wolf kommt, kann ich damit genau auf seine empfindliche Nase zielen. Das mag er bestimmt nicht.
Die einzige Schwierigkeit sehe ich bei meinen augenblicklichen Übungseinheiten eigentlich nur darin, dass ich mich zur Wolfabwehr groß machen muss, mein Lehrer mir aber in der letzten Stunde aufgegeben hat, dass ich viel im Sitzen spielen soll. Da werde ich für den Wolf dann natürlich zu einer leichten Beute und kann auch gar nicht schnell reagieren, wenn er kommt. Im nächsten Unterricht muss ich das also wohl dringend noch mal thematisieren.
Für die Meldung eines Zink-Wolfes habe ich keinen speziellen Kontakt gefunden, daher werde ich einfach die offizielle und allgemeine Wolf-Melde-Adresse nutzen. Telefonisch habe ich bereits angefragt, ob sie dort auch die Meldungen von Zinkenisten registrieren, aber irgendwie hatten wir Kommunikationsschwierigkeiten. Die zuständige Mitarbeiterin wiederholte irgendwann immer nur den Satz, sie verstehe Spaß. Das hat mich vage an eine mittlerweile eingestellte Fernsehshow erinnert, war jetzt aber in der konkreten Situation wenig hilfreich für mich. Gut, dass es sich nur um eine vorsorgliche Anfrage gehandelt hat. Wenn der Wolf wirklich da ist, werde ich meine Meldung natürlich sehr viel deutlicher und eindringlicher formulieren. Das ist dann ja auch wirklich kein Spaß mehr!