sauber

Anfang Februar 2021 habe ich viel nachdenken müssen über das Thema „Sauberkeit“, nicht nur im Haushalt, sondern auch anderswo. Herausgekommen ist folgende Geschichte:

Wenn etwas sauber ist bedeutet das nicht, dass es auch porentief rein oder viren- oder bakterienfrei ist. In der augenblicklichen pandemischen Situation haben wir alle gelernt uns so die Hände zu waschen, dass sie nicht nur sauber sind, sondern darüber hinaus Bakterien und Viren den langen und intensiven Waschvorgang nicht überleben. Ein Büro, das ich tagsüber benutzt habe, hinterlasse ich meinen Kolleginnen und Kollegen nicht nur sauber, also krümel- und biomüllfrei, sondern ich desinfiziere neuerdings gründlich alles, was ich angefasst habe wie Schreibtischoberflächen, Tastaturen, Locher, Tacker und Telefonhörer, bevor ich Feierabend mache.

Dass es einen Unterschied gibt zwischen „sauber“ und „rein“, ist meiner Generation noch aus der alten Werbung mit Klementine vertraut: „Ariel wäscht nicht nur sauber, sondern rein!“ Da müssen wir uns nur wieder dran erinnern, wie glücklich Klementine und ihre zunächst ungläubigen und skeptischen Kundinnen sind und wie schön es sich anfühlt, wenn wieder einmal bewiesen wird, dass es weißer geht als weiß und sauberer als sauber, nämlich rein!

Als unsere Kinder noch klein waren, habe ich natürlich darauf geachtet, dass sie einigermaßen sauber und gepflegt waren. Mittlerweile sind alle erwachsen und schaffen das selber. Früher haben sie allerdings gerne ausgiebig in Matschpfützen herumgepatscht, Sandkuchen auf dem Spielplatz probiert und kamen nach einem langen Tag, den sie mit ihren Freunden draußen verbracht hatten, oft ziemlich dreckverschmiert nach Hause. Ich will auch gar nicht wirklich wissen, was sie da so den Tag über gemacht haben. Nach einem Bad oder einer kurzen Dusche waren sie wieder sauber, die Klamotten sind gleich in der Waschmaschine gelandet und ein gewisses Maß an innerlichem und äußerlichen Dreck hat ihnen nicht geschadet, sondern im Gegenteil ihr Immunsystem angekurbelt. Glücklicherweise sind wir von Floh-, Läuse- und Wurmbefall verschont geblieben und auch heute sind alle drei sehr gesund.

Sauberes Trinkwasser ist in unserem Land eine Selbstverständlichkeit, in anderen Ländern sollte man dagegen keinesfalls Wasser aus der Leitung oder aus einem Brunnen einfach so trinken ohne es abgekocht oder chemisch entkeimt zu haben. Saubere sanitäre Anlagen sind ebenfalls enorm wichtig, um die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern und wir empfinden unsaubere Toilettenanlagen in der Regel als extrem eklig und verstörend.

Auf Sauberkeit kommt es aber nicht nur im privaten Haushalt, bei sanitären Gemeinschaftsanlagen oder bei der individuellen Körperpflege an. Auch Strom z.B. sollte sauber sein, wenn er in hochwertige HiFi Geräte fließt. Dabei meine ich nicht, dass für HiFi Geräte nur sauberer Ökostrom verwendet werden sollte. Vielmehr werden minimale Stromschwankungen in einem entsprechenden Gerät ausgeglichen und tatsächlich macht sich die Stromsäuberung durch eine deutlich hörbare Verbesserung des Klanges bemerkbar, auch wenn das einigermaßen skurril klingen mag.

Aber Sauberkeit ist ja nun in der Musik sowieso ein großes Thema. Unsere Hörgewohnheit ist geprägt durch die seit dem Ende des Barock hauptsächlich verwendete temperierte Stimmung. Innerhalb einer Oktave ist dabei jeder Halbton den genau gleichen Centwert (100) vom nächsten Halbton entfernt. Die einzelnen Intervalle sind durch diese Stimmung derart passend gemacht, dass man in einem Stück nach Belieben in den Tonarten modulieren kann und es trotzdem ganz passabel klingt.

Zwölf reine Quinten ab einem bestimmten Ton übereinander gespielt ergeben eben nicht genau denselben Endton, als wenn man ausgehend vom selben Ausgangston sieben reine Oktaven übereinandersetzt. Dieses physikalische Phänomen (Pythagoreisches Komma) kann man sich ganz gut wissenschaftlich im Internet erklären lassen. In einem 13 Minuten langen Video wird der Unterschied zwischen temperierter und mitteltöniger Stimmung sehr unterhaltsam und anschaulich mit einem Keyboard demonstriert. Es ist zwar wohl meines Wissens noch nicht abschließend geklärt, ob ein Keyboard nun ein echtes Instrument ist oder nicht, aber man kann bei dem im Video benutzten Keyboard wunderbar einfach durch Umschalten eines Knopfes zwischen den Stimmungen hin- und herschalten. Wenn man eine Kadenz erst einmal herkömmlich temperiert gehört hat, dann einmal in mitteltöniger Stimmung und dann wieder temperiert ist es einfach unfassbar, wie unsauber die gewohnte Stimmung dann klingt.

Mit meinem Zink werde ich wohl eher nicht in die Situation geraten, dass ich den Hit „Die Rote Sonne von Barbados“ von den Flippers wahlweise temperiert oder mitteltönig intonieren darf. Jedenfalls soll ich aber, seit ich mich mit dem Zink beschäftige, zunehmend „mitteltönig“ denken. Eine Terz z.B. kann danach gar nicht zu tief sein. Experten sprechen im Zweifelsfall dann wohl anerkennend davon, dass die Terz ja sehr ausgeprägt mitteltönig gelungen sei.

So richtig bewusst geworden ist mir die Schönheit eines nicht nur sauber intonierten, sondern rein gestimmten Akkordes kürzlich auf einem Workshop für Alte Musik. Zwei Teilnehmer haben eine reine Quinte gehalten und die Aufgabe war, eine reine Terz da hinein zu spielen. Wenn man von bisherigen Hör- und Spielgewohnheiten kommt, tönt man zunächst automatisch eine „saubere“, dabei aber viel zu hohe Terz. Wenn man diese dann (um ganze 14 Cent, also unfassbar weit) nach unten korrigiert, erreicht man auf einmal einen Punkt, an dem der Akkord förmlich aufblüht, den ganzen Raum erfüllt und zumindest mein Zink vor Freude vibriert. Ein Bassdulcian-Spieler beschrieb mir gegenüber dieses Phänomen so, dass bei ihm ein reiner Akkord irgendwie im Brustbein einrastet. Jedenfalls ist die Reinheit der Klänge beim Musizieren Alter Musik immer wieder ein nachhaltig beeindruckendes Erlebnis, das sich kaum in Wort fassen und angemessen beschreiben lässt. Aber auch beim Hören Alter Musik lässt sich die Reinheit und Klarheit des Klanges erspüren, wenn man mal gezielt darauf achtet. 

Klementine hat es schon vor mehr als 50 Jahren gewusst: So schön, befriedigend und beglückend kann es sein, wenn etwas nicht nur sauber ist, sondern rein! 

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