Möpp

Ende August 2023 beschäftigen mich die Themen Kommunikation und gemeinsames Schwingen. Wenn man beides zusammenmixt, kommt folgende kleine Geschichte dabei heraus:

Immer wieder stelle ich im Laufe meines Lebens zu meinem Erstaunen fest, dass nicht alle Menschen so sind wie ich. Punkte beim Skat mit 10er Übergang zusammenzurechnen fällt z.B. anderen leichter als mir. Manche haben von Kinesiologie noch nichts gehört, schätzen Homöopathie als Humbug ein, kennen den Zink nicht oder haben merkwürdige politische Ansichten. Und Dinge, die auf meiner Prioritätenliste ganz weit oben stehen, sind für andere Menschen gar nicht so wichtig wie mir.

Auffällig finde ich die Verschiedenheiten im Bereich der Kommunikation. Wenn ich jemandem z.B. eine E-Mail schreibe, bin ich mir ja gar nicht sicher, ob diese überhaupt beim Empfänger angekommen oder doch vielleicht im Spam-Ordner gelandet ist. Erst wenn ich eine Antwort erhalte, kann ich sicher wissen, dass meine Mail den Adressaten auch tatsächlich erreicht hat. Damit andere sich diese Gedanken nicht machen müssen, reagiere ich in der Regel recht schnell auf Zuschriften. Wenn ich grad keine Zeit für eine ausführliche Antwort habe, schreibe ich zumindest eine Zwischeninfo zurück, dass ich die Mail erhalten habe und mich zu einem späteren Zeitpunkt damit beschäftigen werde. Einige Menschen machen das ganz anders und melden sich erst spät oder gar nicht zurück und ich darf gerade wieder einmal lernen es auszuhalten, dass es Kommunikationspartner gibt, die langsamer bzw. ganz anders kommunizieren als ich.

Sowieso bin ich insgesamt eher in einem höheren Tempo unterwegs im Leben, treffe schnell Entscheidungen, reagiere unverzüglich, begreife recht schnell (im Grund genommen ja auch das Prinzip des 10er Übergangs beim Punktezusammenrechnen beim Skat, mir fehlt da nur ein bisschen Übung im Kopfrechnen) und kann mich relativ zügig auf neue Situationen einstellen.

Beim Musizieren nehme ich mich hin und wieder auf und stelle auch da fest, dass ich in der Regel eher zu früh einsetze als zu spät und auch immer noch mal wieder Pausen verkürze, wenn ich alleine übe. Ich hätte auch geschworen, dass ich selbstverständlich niemals schleppe beim gemeinsamen Musizieren, sondern eher zu schnell werde und antreibe. Allerdings hat eine befreundete Posaune, mit der ich mich häufig in der ovbox treffe, ein Probenergebnis aufgenommen und ich wollte erst gar nicht glauben, wie sehr ich da das Tempo verlangsame. Tatsächlich hätte ich ohne den hörbaren Beweis wahrscheinlich bei der nächsten Probe vehement abgestritten, dass es an mir liegen könnte, dass wir so sehr bremsen.

Eigentlich gibt es ja beim gemeinsamen Musizieren gar kein „zu langsam“ oder „zu schnell“. Es ist völlig unerheblich, ob ich meine, dass jemand anderes zu langsam ist oder ich an einer Stelle zu schnell davon presche. Wichtig ist, dass wir in einem gemeinsamen Tempo schwingen, einen gemeinsamen Taktus oder Puls spüren und eine übereinstimmende Vorstellung von dem Musikstück haben, das wir gerade spielen. Wenn das der Fall ist, braucht man keinen Dirigenten. Man atmet und musiziert in vollkommenem Einklang.

Mit meinem Bassdulzian-Freund habe ich zusammen Ensembleunterricht bei Detlef Reimers in der ovbox, also einem virtuellen Raum. Gerade in der Anfangszeit unseres Unterrichtes haben wir uns viel mit Tempo und Timing beschäftigt. Dazu haben wir fast jedes Mal beim Einspielen eine Übung gemacht, die je nach Können der Beteiligten immer schwieriger gestaltet werden kann. Wir spielen reihum eine beliebige Tonleiter, wobei mir als Zink immer wichtig ist, beim Einspielen nicht gleich mit obskuren Tonarten wie B-Dur oder As Moll zu beginnen. In gleichbleibender Reihenfolge also z.B. Posaune, Dulzian, Zink, spielen wir nacheinander den Ton auf der ersten Tonstufe, dann den zweiten, den dritten usw. Man kann Pausen machen zwischen den Tönen, sich die Töne übergeben, Dynamiken verabreden, den Rhythmus oder die Geschwindigkeit variieren oder auch ganz simpel die Reihenfolge der Spieler ändern. Es ist erstaunlich, wie schwierig es für mich ist, nicht weiter als Dritte meinen Ton genau zu platzieren, sondern auf einmal als Zweite oder Erste. Diese Übung schult unglaublich das Hören und das Gefühl für das richtige Timing und den gemeinsamen Puls.

In der ovbox hören wir uns gegenseitig über Kopfhörer, können uns aber nicht sehen. Außenstehende, die nur einen der beteiligten Musiker hören, können sich vielleicht schon wundern, was wir da so treiben. Sie hören lange nichts, wenn wir der Verabredung lauschen, welche Tonart wir nehmen, wo wir beginnen, welche Reihenfolge wir wählen etc., und dann hin und wieder einmal einen einzelnen Ton. Ein Zinkton, und sei es nur ein einziger, klingt ja bekanntlich immer wie von Engeln gesungen, aber die Frau meines Bassdulzian-Freundes hat sich, nachdem wir die Übung zum allerersten Mal gemacht haben, etwas verwundert bei ihm erkundigt, warum er in der Unterrichtsstunde nur alle paar Minuten mal „Möpp“ gemacht habe mit seinem Instrument. Seitdem heißt die Übung bei uns die „Möpp-Übung“. Mein Bassdulzian-Freund und ich bemühen uns nach Kräften diese Übung auch anderen Menschen, mit denen wir uns in der ovbox oder auf Kursen und Workshops treffen, nahezubringen. Einige finden sich erstaunlich schnell in die Übung hinein und hören anschließend in den Stücken, die wir proben, sehr genau auf ihre Mitspieler. Andere tun sich sehr schwer mit dieser Übung und spüren dann auch häufig später den gemeinsamen Taktus nicht. Aber wir können das Möppen ja einfach weiter üben!

Auch sonst im Leben fällt es mir immer da, wo ich gemeinsam mit anderen etwas tue, auf, wenn wir nicht gemeinsam schwingen, uns vielleicht sogar gegenseitig behindern oder aus dem Takt bringen. Bei meiner Arbeitsstelle sollten wir im Team dringen mal gemeinsam Möppen. Und im Bereich der Kommunikation mit bestimmten Leuten hilft es mir vielleicht, wenn ich mich über eine Möpp-Einheit auf deren Schwingungsfrequenz einstellen und erspüren kann, ob ich mich vielleicht verlangsamen oder meine Erwartungen deutlich herunterschrauben sollte.

Sonntagabend war ich in einem Konzert, bei dem ich von Anfang an gespürt habe, dass alle Musiker des Ensembles harmonisch in einem gemeinsamen Taktus zusammen schwingen. Sie haben das Möppen sozusagen perfektioniert. Das Schöne ist ja, dass sich so ein gemeinsamer Puls auch auf die Zuhörer überträgt und harmonisierend wirkt. Da ich in nächster Zeit ein wichtiges Gespräch habe mit einer Person, mit der ich noch keinen gemeinsamen Taktus spüre, nehme ich die Harmonie gerne mit in die Woche.