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Ende April 2023 hatte ich viel zum Nachdenken, was irgendwie alles in einer neuen Geschichte verschmolzen ist. Es ist ganz erstaunlich wie Autofahren, ein Nierenstein, Gregorianik und die Sonne miteinander in Zusammenhang stehen.

Auf der Heimfahrt nach einem wunderbaren Tagesausflug an die Nordseeküste konnte ich auf der Rückbank unseres Autos ganz entspannt ein bisschen wegdösen und bin erst wieder aufgewacht, als die bis dahin sehr flüssige und geschmeidige Fahrt sich irgendwie anders angefühlt hat. Tatsächlich hingen wir auf der Landstraße hinter einem trödeligen und unaufmerksamen Langsamfahrer fest. Hier im Norden haben wir wahrlich keine Haarnadelkurven, aber der Sonntagsfahrer vor uns ist in jede der sanften und langgezogenen Kurven sehr langsam und vorsichtig eingefahren und hat, wenn es ihm mit knapp 70 km/h dann doch noch zu schnell wurde, in den Kurven sogar noch weiter abgebremst. Ich war ganz froh, nicht selber am Steuer zu sitzen, sondern einer unserer Söhne. Der merkte nach einem Blick in den Rückspiegel an, dass der Fahrer vor uns schon eine große Gefolgschaft gesammelt habe. Tatsächlich war hinter uns eine lange Autoschlange zu sehen. Irgendwann konnten wir an einer übersichtlichen und gegenverkehrsfreien Stelle überholen und unser Sohn konnte den restlichen Rückweg in selbst gewählter Geschwindigkeit nun wieder wie gewohnt in seinem flüssigen und geschmeidigen Fahrstil gestalten.

Tja, da träumt man ein bisschen dösig vor sich hin und findet sich auf einmal in der Gefolgschaft von irgendjemandem wieder, der in einer ganz anderen Geschwindigkeit und einem anderen Stil unterwegs ist, als man selber. Das ist nicht nur beim Autofahren so. Das kann ja schon passieren, dass man sich in seinem Leben ganz behaglich eingerichtet hat und ein bisschen verträumt vor sich hinlebt und irgendwann in einem wachen Moment realisiert, dass man einem politischen oder einem spirituellen Führer oder Bewegung, einer automatisierten Handlungsweise, einem bequemen Denkmuster oder ganz einfach dem unreflektierten Mainstream folgt. Was lässt uns dann aufwachen? Was zeigt mir persönlich an, dass ich da ohne nachzudenken gerade jemand oder etwas folge, das mir eigentlich widerspricht, mir vielleicht schadet, für das ich mich innerlich verbiegen muss?

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Herzchennoten

Beim Zinken lerne ich viel fürs Leben und über mich selber. Wie ein Herzchen in meinen Noten sich ausgewirkt hat, habe ich Ende November 2022 in der folgenden Geschichte beschrieben.

Im März 2022 habe ich teilgenommen an einem Workshop der Hochschule für Künste in Bremen für Zinken, Barockposaunen und Barocktrompeten. In der ersten Ensemble-Probeneinheit zusammen mit anderen Zinken und Posaunen war ich noch ein wenig nervös und angespannt und das hatte für mein Zinken zur Folge, dass ich tendenziell zu hoch gespielt habe. Nach einem Hinweis meines Lehrers habe ich mein Instrument durch das Herausziehen des Mundstückes etwas verlängert um es tiefer zu stimmen und darüber hinaus meine Klänge durch ein Hinunterziehen des Unterkiefers tiefer gefärbt. Die Intonation passte dann erfreulich gut.

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Ruhe

Mitte Oktober 2022 hat eine Unterrichtsstunde bei einem Posaunisten dazu geführt, dass mir wieder eine Zinkgeschichte eingefallen ist. Es geht viel ums Zinken, Akkorde und Intonation. Ich denke aber, dass ich eine ganz grundlegende Erkenntnis auch auf die Zeit übertragen kann, in der ich gerade mal nicht zinke.

Das cis“ und ich sind ich keine Freunde. Beim Zinken gibt es eigentlich nur die vier Töne g‘, a‘, h‘ und c“, die beim normalen Chorzink in G einigermaßen gefällig liegen. Obwohl auch das a‘ natürlich einige Besonderheiten hat und bei mir, wenn ich nicht aufpasse, ein wenig offen und quäkig klingt. Und das h‘ neigt dazu, zu hoch und scharf zu sein, wenn ich nicht mit einer Vergrößerung des Mundraumes oder dem Auflegen eines weiteren Viertel-Fingers gegensteuere. Ab dem f‘ abwärts muss ich mit zunehmend mehr Baucheinsatz und abnehmender Spannung die Töne erzeugen und ab dem d“ aufwärts erfordern die Töne, je höher es geht, ein immer extremeres Hochziehen irgendwie und irgendwo im hinteren Gaumenbereich und mehr Spannung. Keiner hat je behauptet, Zinken sei leicht! Jeder (!) einzelne Ton auf dem Zink erfordert seine eigene, individuelle und ganz besondere Einstellung aller für die Klangerzeugung zur Verfügung stehenden Stellschrauben und muss einzeln erlernt werden.

Aber das cis“ ist nun noch einmal eine ganz eigene Herausforderung für mich. Zusätzlich zur richtigen Stellung aller übrigen Komponenten zur Erzeugung dieses Tones in Mundraum, Bauch, Brust und den Lippen muss ich das Instrument etwas nach links unten drehen und mich quasi in meiner Körpermitte ein wenig verwringen. Mein Zinklehrer hat mal vor längerer Zeit gesagt, wenn es sich verquer im Körper anfühle, sei das cis“ richtig. Zumindest erinnere ich seine Aussage so. Und das hat dazu geführt, dass ich mich beim Zinken, immer wenn ein cis‘‘ kommt, darauf fokussiere, ein komisches Körpergefühl zu haben.

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Perspektiven

Anfang Mai 2022 beschäftigen mich beim Zinken und anderswo verschiedene Perspektiven und die Erkenntnisse, die ich durch einen neuen Blick auf Altgewohntes gewinnen kann:

Im Büro bin ich in der letzten Woche mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch ausgerüstet worden. Das tut natürlich zunächst erstmal meinem Rücken gut. Das Arbeiten fühlt sich aber auch anders an, wenn ich es im Stehen erledige und der Blick von oben auf den Schreibtisch meiner Kollegin gegenüber ist auf einmal ein anderer. Interessanterweise ist die Corona-Präventions-Spuckschutz-Plexiglasscheibe an den nicht höhenverstellbaren Schreibtisch meiner Kollegin anmontiert worden, so dass ich ab jetzt doch sehr aufpassen muss, dass ich, wenn ich im Stehen arbeite, nicht aus Versehen darüber hinweg meine Kollegin anspucke.

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Risse

Der zweite Corona-Winter zehrt an den Nerven. Viele Menschen haben sich verändert, wirken dünnhäutiger und zerbrechlicher. Ein kurzes aber sehr ansprechendes Wort zum Sonntag in unser örtlichen Presse zum Thema Kintsugi hat mich zusammen mit den vielen Schlaglöchern auf den Straßen und meinen Bemühungen mit dem Zink Mitte Februar 2022 auf folgende, recht nachdenkliche Geschichte gebracht:

Der diesjährige Winter hat Spuren hinterlassen. Es war der zweite Corona-Winter in Folge und viele Menschen hungern aus ganzer Seele nach Normalität, Kontakten, Sonne, Lachen, Begegnungen, Wärme und einem Ende der Isolationen und Einschränkungen. Bei uns im Nordwesten Deutschlands war der Winter zudem wieder einmal nicht lange kalt aber dafür extrem lange grau und nass. In vielen Straßen haben sich bestehende Risse und Löcher ausgebreitet und vertieft oder neu ausgeprägt. Sie bilden zum Teil bizarre Muster, die eine ganz eigene Schönheit entwickeln. Wenn man allerdings mit dem Auto in eins der Schlaglöcher gerät, kann man die Schönheit unter Umständen gar nicht würdigen.

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Erwartungen

Ende Januar 2022 gehen mir viele Gedanken durch den Kopf, die sich dann alle zu einer neuen Geschichte zusammengefunden haben. Irgendwie hängt wieder einmal alles zusammen: Feigen, Brötchen, Doppelkopf und Zinken:

Der Feigenbaum in unserem Garten hatte sich sein Leben bestimmt anders vorgestellt. Vielleicht hatte er davon geträumt, in der würzigen Luft Kretas irgendwo einsam in den Bergen und mit Blick auf das blaue Mittelmeer die Sonne zu genießen. Oder im Garten einer spanischen Finca eine Familie Jahr für Jahr mit einem solchen Übermaß an Früchten zu erfreuen, dass die Familie die gesamte Ernte gar nicht alleine aufessen kann und die überzähligen Früchte trocknen muss. Stattdessen steht er nun an der Südwand eines Hauses im kühlen und nebelgrauen Norddeutschland, setzt jedes Jahr eine Unzahl an Früchten an, die er aber nie zur Reife bringt, weil nach einem kurzen Sommer immer unerwartet früh der regnerische Herbst einsetzt. Und zu allem Überfluss steht regelmäßig eine kleine, aufgebrachte Frau vor ihm, überschüttet ihn mit wuterfüllten Tiraden und fuchtelt drohend mit einer Gartenschere, Kettensäge oder Axt vor ihm herum. Nein, das hatte er sich wirklich anders vorgestellt. Aber im Leben kommt es ja oft ganz anders, als man das plant, erwartet oder erhofft.

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Bremsen

Mitte Dezember 2021 hat der Zink mich mal wieder zum Nachdenken gebracht. Diesmal geht es um die genau ausdifferenzierte Gestaltung von Tonanfängen. Und irgendwie ist dann doch noch eine Adventsgeschichte daraus geworden.

Wenn ich in pandemischen Zeiten nicht gerade meine Arbeit im Homeoffice erledigen kann, pendle ich regelmäßig mit der Bahn nach Bremen. Ich fahre gerne im letzten Wagen meines Zuges, weil ich dort zum einen viele mittlerweile bekannte Gesichter sehe und zum anderen der Weg vom Ausstieg aus dem Zug im Bremer Bahnhof bis zu den Treppenabgängen von dort deutlich kürzer und weniger überfüllt ist, als von den vorderen Wagen aus. Vorausgesetzt natürlich, der Lokführer leitet das Bremsmanöver rechtzeitig ein, so dass der Zug mittig im Bahnhof hält und nicht gefühlt auf halber Strecke nach Hannover. Beim Warten auf den Zug in meinem kleinen Provinzbahnhof positioniere ich mich genau da, wo der letzte Wagen üblicherweise zum Halten kommt. Es passiert gelegentlich, dass der Zug nicht rechtzeitig bremst und ich dann eine Strecke sprinten muss, um in den letzten Wagen einsteigen zu können. Immerhin hat der Zug aber bisher noch jedes Mal angehalten. Es gibt ja Bahnhöfe, in denen die Züge manchmal den Halt vergessen, gar nicht abbremsen und einfach durchfahren. Wenn man „IC vergisst Halt“ googelt, findet man leicht einige Beispiele.

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Sprüche

Ich mag Sprüche. Mitte Oktober 2021 beschäftigt mich ein Spruch aus der Kampfkunstszene so sehr, dass mir sogar eine Geschichte dazu eingefallen ist, in der der Zink (fast) gar nicht vorkommt:

Vor kurzer Zeit habe ich Glückwünsche zu einer grünen Hochzeit auf einer Karte formulieren müssen. Erst habe ich mich schwergetan, weil mir nichts Passendes einfiel. Dann habe ich im Internet recherchiert und bin auf eine Fülle von Sprüchen gestoßen, von romantisch über ernst und besinnlich bis hin zu sehr humorvoll. Gut gefallen hat mir z.B. von Antoine de Saint-Exupéry: Liebe besteht nicht darin, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in die gleiche Richtung blickt. Oder von Loriot: Eine glückliche Ehe ist eine, in der sie ein bisschen blind und er ein bisschen taub ist. Entschieden habe ich mich für einen Klassiker von Platon: Die Liebe ist ein Fest – es muss nicht nur vorbereitet, sondern auch gefeiert werden.

An die nahezu unerschöpfliche Quelle von Sprüchen im Internet hatte ich mich erinnert, weil ich vor einigen Jahren anlässlich einer Fußball EM für die Teilnehmenden an einer Tipprunde Urkunden gefertigt hatte. Seinerzeit war ich mit Lachtränen in den Augen tief in die Welt der Fußballsprüche abgetaucht und hatte schließlich jede Urkunde mit einem anderen Spruch versehen. Da gibt es unschlagbare, zum Teil unerwartet tiefsinnige Klassiker: Mario Basler: Das habe ich ihm dann auch verbal gesagt. Matthias Sammer: Das nächste Spiel ist immer das nächste. Gerhard Delling: Das einzige, was sich nicht geändert hat, ist die Temperatur – es ist kälter geworden. Marco Rehmer: Wir sind hierhergefahren und haben gesagt: Okay, wenn wir verlieren, fahren wir wieder nach Hause. Fritz Langner: Ihr Fünf spielt jetzt vier gegen drei.

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richtiger Platz

Mitte September 2021 sind mir auffallend häufig Dinge begegnet, die an einem falschen Platz waren. Aber waren sie das wirklich?

Kürzlich habe ich meine Brille vermisst. Sie lag nicht in dem Regalfach, wo ich sie normalerweise hinlege. Ich habe einige Zeit vergeblich nach ihr gesucht, bis ich sie schließlich auf meiner Nase gefunden habe. Das mag nun an meinem Alter liegen, bei der Gelegenheit habe ich aber gemerkt, dass es mir wichtig ist, dass Dinge an ihrem richtigen Platz sind und alles seine Ordnung hat.

Wenn es geht, buche ich mir für Veranstaltungen oder auch längere Zugfahrten einen festen Sitzplatz. Unerfreulich wird es dann, wenn bei der Bahn der Wagen, in dem mein Platz sich befindet, gesperrt ist und ich dann doch zeitweilig stehen muss. Bei Konzerten habe ich es schon erlebt, dass wegen zu geringer Nachfrage in bestimmten Sitzplatzbereichen die Reservierungen dort vor Ort aktuell aufgehoben werden und man in diesem Bereich freie Sitzwahl hat. Gut, wenn man dann früh genug da ist, um sich einen vernünftigen Platz auszusuchen und man nicht hinter einer Säule oder auf einem unbequemen Klapp-Zustell-Stuhl Platz nehmen muss.

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Ende …

Ende Juli 2021 habe ich mich intensiv mit Schlusspunkten und Enden beschäftigt. Auf die Thematik aufmerksam geworden bin ich wieder einmal, wie so oft in den letzten vier Jahren, durch meinen Zinkunterricht.

Kürzlich haben wir uns im Zinkunterricht mit der musikalischen Gestaltung eines längeren schnellen Laufes beschäftigt. Damit er sich nicht langweilig anhört, sollen Tempo und Spielfluss nicht gleichförmig vor sich hin tackern, sondern die Töne und die ganze musikalische Phrase idealerweise mit kleinen Anläufen, Verzögerungen oder sonstigen Tempoveränderungen abwechslungsreich perlen. Auch die Dynamik soll nicht immer gleichbleiben, sondern ebenfalls ständig leicht variieren. Zudem sind Kraft, Luft und Energie so einzuteilen, dass alles mindestens bis zum Ende des letzten Tones ausreicht. Insgesamt soll sich der Spannungsbogen bis zur Endnote und noch darüber hinaus erstrecken. Am Schwierigsten für mich war und ist die Gestaltung des Schlusstones. Das Timing passt oft nicht. Ich stolpere in den letzten Ton entweder zu schnell hinein, mache davor eine zu lange Pause, verliere mit zu viel Ritardando vorher insgesamt zu viel Tempo, erwische den Schlusston von der Intonation her nicht richtig, würge ihn zu früh oder lustlos oder genervt ab, gestalte das Ende zu abrupt, denke nicht über den letzten Ton hinaus weiter oder komme sowieso gar nicht am Ende an, weil ich schon vorher frustriert den Lauf abgebrochen habe, wenn sich wieder einmal Finger oder Doppelzunge oder auch beides vertüddelt hatten. Es ist ganz erstaunlich, wie lange und intensiv man sich mit ein paar wenigen Tönen beschäftigen kann.

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