Ich stehe in einem kleinen Raum, schräg vor mir ein mannshoher Spiegel, neben mir mein Lehrer. Ich schwitze. Das Gebäude in dem ich mich befinde ist komplett eingerüstet. Draußen finden irgendwelche Arbeiten an der Fassade statt. Deshalb dürfen die Fenster nicht geöffnet werden. Es ist schlechte Luft hier drinnen. Habe ich gesagt, dass ich schwitze? Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Das Wasser steht mir im Gesicht, ich bin klatschnass. Mir ist zwar altersbedingt derzeit tendenziell schnell mal warm, aber das hier? Peinlich. Wieso um alles in der Welt stehe ich hier eigentlich und tue mir diese Situation an? Wie bin ich denn hier bloß her geraten?
Wer mich kennt weiß, dass ich ein sehr strukturierter Mensch bin. Wenn ich Musik höre, muss ich wissen, wo die „Eins“ ist, sonst werde ich unruhig und kann das Stück nicht genießen. Das Duett „don’t give up“ von Peter Gabriel und Kate Bush hat mich schier wahnsinnig gemacht, bis ich Takt und Rhythmus des Anfangs endlich entschlüsselt hatte. Ich mag Excel-Tabellen, übersichtlich gestaltete Dokumenten-Vorlagen, meine Terminplanung, effiziente Verfahrensabläufe, klare Absprachen, ergebnisorientierte Besprechungen, Pünktlichkeit, einen aufgeräumten Arbeitsplatz und ja, meine Yoga Matte kann nicht irgendwie schief im Raum liegen, das muss schon parallel zu irgendeiner festen Bezugsgröße sein. Ein gewisses Maß an Spleenigkeit kultiviere ich mit einem kleinen Augenzwinkern durchaus ganz gerne. Dazu passt vielleicht auch, dass ich Treppenstufen zähle. Es gibt tatsächlich Häuser, in denen die Treppen von einer Etage zur anderen 15 Stufen haben, oder 17. Das fühlt sich total unrhythmisch an und geht gar nicht!
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