In unserer Familie spielen wir gerne und häufig Gesellschaftsspiele. Auch am letzten Wochenende haben wir uns wieder einen vergnüglichen Doppelkopf-Nachmittag gemacht. Von identischen Ausgangspositionen aus war ich nach einem Sieg kurzzeitig auf dem ersten Platz. Im Laufe des Nachmittags hatte ich dann aber Pech mit meinen Blättern oder mit dem Blatt meines jeweiligen Mitspielers und habe vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle den Spielverlauf falsch eingeschätzt. Dadurch bin ich stetig in der Rangliste abgestiegen, bis ich schließlich auf der letzten Position gelandet bin. Das Ganze war ja aber nur ein Spiel und meinen mit Abstand letzten Platz habe ich akzeptiert und den liebevollen Spott meiner Familie mit Humor und Fassung getragen.
Auch im richtigen Leben findet man sich hin und wieder überraschend auf Positionen wieder, die man unerwartet erreicht hat oder die sich zufällig ergeben haben. Manchmal hat man sich eine Position auch lange und hart erkämpft oder unter Entbehrungen verdient. Und eine als sicher geglaubte Position kann sich im Nachhinein als unsicherer erweisen als gedacht. Die augenblickliche Corona-Krise würfelt unser Leben gehörig durcheinander und viele Menschen müssen ihre aktuelle Lage überdenken, sich eventuell neu orientieren und versuchen, sich anders zu positionieren. Wer hätte vor drei Monaten gedacht, dass Handarbeitsgeschäfte wegen der ganzen Maskennäherei florieren und dafür bis dahin gut aufgestellte Großunternehmen in der Automobilbranche oder im Flugzeugbau vor massiven Verlusten stehen und viele ihrer Arbeitnehmer freistellen müssen.
Die Corona-Lage wird viel durcheinander wirbeln und wahrscheinlich auch einschneidende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen nach sich ziehen. Das Blatt wird neu gemischt, einige Spielregeln sind noch nicht genau definiert oder unklar und es wird Gewinner und Verlierer geben. Durch neue Positionierungen können sich aber für jeden Einzelnen, sofern er offen für einen veränderten Blickwinkel ist, neue Perspektiven, Chancen und Möglichkeiten auftun.
Auch beim Zinken führen Veränderungen von Positionen zu manchmal überraschenden Veränderungen des Klanges und mit Glück auch zu einem völlig neuen musikalischen Spielfluss. Zum einen geht es dabei um die Position im Raum in Bezug zu den Mitmusizierenden und dem Publikum. Es ist dabei von Bedeutung, ob man sich als Zinkenist so positioniert, dass man seinen Klang einem Mitstreiter direkt ins Ohr bläst oder eben nicht, und ob man direkt ins Publikum zinkt oder durch eine kleine Drehung erreicht, dass der Klang sich zunächst entfalten und mit den Klängen der anderen Musiker mischen kann, bevor er in seiner Gesamtheit ins Publikum fließt.
Zum anderen ist aber auch die genaue Positionierung der vielzähligen einzelnen Komponenten zur Erzeugung eines schönen Zinkklanges von großer Bedeutung. Auch nach nunmehr annähernd drei Jahren des Zinklernens entdecke ich immer noch wieder neue Details, die dem Klang eine völlig neue Dimension geben können. Ganz neu habe ich aktuell gelernt, meinen Hals weit zu denken um Töne an ihrem Ende nicht unschön abzuquetschen und ein Weiterfließen der Musik auch über Pausen hinaus zu ermöglichen. Auch die genaue Positionierung der Zunge bei den verschiedenen Artikulationstechniken ist entscheidend für ein gelingendes Gestalten von Musik mit dem Zink. Und manchmal liegt es auch gar nicht an der Zunge, wenn mir ein Lauf nicht gelingt, sondern daran, dass ich vergesse, den linken Mittelfinger auch mal zu bewegen.
In Corona Zeiten muss man als Instrumentalist oder auch als Sänger sehr genau überlegen, wo man sich beim Spielen positioniert. Ursprüngliche Empfehlungen lauteten, dass Bläser und auch Sänger 12 Meter Abstand voneinander haben müssen, um sich nicht gegenseitig zu gefährden. Die Rede war auch davon, dass man als Bläser oder Sänger extrem tief atmet, das Virus aus dem entferntesten Winkel der Lunge hervorholt, durch das Instrument hindurch in den Raum katapultiert und dadurch zum Beispiel einen gesamten großen Kirchenraum nachhaltig kontaminiert.
Neueste Studien haben nun ergeben, dass sich das Corona-Virus gar nicht auf den Schallwellen positioniert, sondern sich mit der Atemluft verbreitet. Beim Sprechen strömt die mit dem Virus versetzte Atemluft viel weiter in einen Raum hinein als durch ein Blasinstrument hindurch oder beim Singen. Fürs Zinken kann ich das definitiv bestätigen. Regelmäßig habe ich viel zu viel Luft in mir, die ich beim Spielen gar nicht zur Gänze durch das Instrument hauchen kann. Die Kunst ist, vor dem nächsten Einatmen erstmal die verbrauchte Luft loszuwerden, damit man weiterspielen kann, ohne dass einem schwindelig wird. Die neuen Studien lassen jedenfalls hoffen, dass ein gefahrfreies gemeinsames Musizieren und Singen vielleicht noch in diesem Jahr wieder möglich sein wird.
Im Übrigen gewöhnen wir uns ja gerade daran, auf Abstand zu bleiben. Überall vor Geschäften oder auch in Läden sind Bodenmarkierungen angebracht, die man beim Anstehen beachten sollte. Manchmal kommen mir die Abstände allerdings recht klein vor. Laut meinem Personalausweis bin ich 1,65 Meter groß. Der Abstand zwischen zwei Menschen sollte also in etwa eine „liegende Sandra“ (in meiner Maßeinheit: 1lS) betragen, aber zwischen einige der Bodenmarkierungen passe ich in liegender Form gar nicht hinein.
Auch mein Arbeitgeber sorgt sich um meine Gesundheit und gibt mir Hilfsmittel an die Hand, damit ich meinen Kolleginnen und Kollegen nicht aus Versehen zu Nahe komme. Es dürfen bei uns im Gebäude jeweils zwei Menschen zusammen einen Fahrstuhl benutzen. Die Bodenmarkierung in den Fahrstühlen hat mir aber Rätsel aufgegeben, die ich bislang noch nicht lösen konnte:

Wenn ich mich in die Markierung stelle, stehe ich mit dem Rücken zur Tür, fühle mich unwohl und bekomme nicht mit, in welchem Stockwerk der Fahrstuhl hält. Außerdem ist mir nicht klar, wo sich die zweite Person im Fahrstuhl positionieren soll. Eine entsprechende Markierung auf dem Boden fehlt. Um jetzt den gesamten Fahrstuhlraum auszunutzen wäre es natürlich pfiffig, auch die Höhe zu berücksichtigen. Es fehlen aber derzeit noch entsprechende Haltegriffe für die zweite Person an der Decke des Fahrstuhls. Zudem erschließt sich mir nicht, wie eine zweite Person den Fahrstuhl mit dem vorgeschriebenen Abstand von 1lS betreten oder verlassen kann, wenn ich auf der Markierung stehe.
Da mir das alles sehr suspekt ist, laufe ich lieber Treppe, aber auch hier bin ich auf rätselhafte Markierungen gestoßen:

Wenn ich mich auf den Punkt stelle, wie soll dann ein weiterer Mensch, der das Treppenhaus benutzt, im richtigen Abstand von 1lS sicher um mich herumkommen?
Es bleibt auf jeden Fall spannend, wie das Corona-Virus unsere individuellen inneren und auch die raum-, bewegungs- und an anderen Menschen orientierten Positionen, Wege und Entwicklungen verändern wird.